Die Reichenauer Benediktinerabtei gilt als ein Musterbeispiel frühmittelalterlicher Klosterarchitektur in Mitteleuropa. Das Kloster auf der im Bodensee gelegenen Insel wurde im Jahr 724 gegründet und zählt neben St. Gallen und Fulda zu den bedeutendsten Klöstern der karolingischen Epoche.
Im 10. und 11. Jahrhundert entwickelte sich die Klosterinsel zu einem der bedeutendsten geistigen und kulturellen Zentren des Heiligen Römischen Reiches und insbesondere die Reichenauer Malschule prägte die europäische Kunstgeschichte nachhaltig. 1540 wurde das Kloster zum Priorat des Konstanzer Bischofs umgewandelt. Nach Jahrhunderten der Abhängigkeit wurde es 1803 im Zuge der Säkularisierung gänzlich aufgehoben.
Im Jahr 2000 wurde die Klosterinsel Reichenau mit ihren drei Kirchen, dem Marienmünster St. Maria und Markus mit der Klosteranlage in Reichenau, St. Georg und St. Peter und Paul, in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen.
Standort | Insel Reichenau im Bodensee (Bundesland Baden Württemberg |
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Bauzeit | Marienmünster (Gründungsbau): um 724 St. Peter und Paul: um 799 Marienmünster (steinerner Neubau): um 816 St. Georg: um 896 Umbauten Marienmünster und St. Georg: frühes 11. Jahrhundert |
Besonderheiten | Die Malschule des Klosters Reichenau gilt als eine der bedeutendsten Malschulen des 10. und 11. Jahrhunderts. |
Nutzung | Einstige Benediktinerabtei; heute lebt wieder eine kleine Mönchsgemeinschaft auf der Insel. Die Reichenau verfügt über mehrere Museumseinheiten, die Kirchen sind frei zugänglich. |
Informationen |
Touristen-Information Pirminstrasse 145 78479 Insel Reichenau Telefon: 0049- (0)75 34 - 92 070 Webseite: info@reichenau-tourismus.de |
Öffnungszeiten | Museum Reichenau: April – Oktober: dienstags bis sonntags, 10:30 bis 16:30 Uhr Juli – August: dienstags bis sonntags, 10:30 bis 17:30 Uhr November – März: samstags, sonntags und feiertags, 14:00 bis 17:00 Uhr Schatzkammer des Marienmünster: Besichtigung nach Vereinbarung |
Geschichte des Klosters Reichenau
Das Benediktinerkloster auf der Insel Reichenau im Bodensee gilt als eines der bedeutendsten kulturellen und wissenschaftlichen Zentren des Frühmittelalters.
Einer Legende nach gehörte die Insel zur Gründingszeit im 8. Jahrhundert einem alemannischen Adligen namens Sintlas, der auf seiner Burg im heutigen Salenstein am Schweizer Ufer des Bodensees ansässig war. Als der Heilige Pirmin um 724 an den Bodensee kam, bat Sintlas ihn, auf seinem Grund eine Kapelle zu errichten. Pirmin wählte dafür die Insel Reichenau, welche zu jener Zeit von einem dichten Urwald bewachsen und einer Menge unwirtlichem Getier wie Schlangen, Kröten und Insekten bewohnt gewesen sein soll. Angeblich floh das Getier jedoch über all dort, wo Pirmin seinen Fuß hinsetzte und innerhalb von drei Tagen galt die Insel als von jeglichem Ungeziefer befreit. Sie soll in kürzester Zeit von Pirmin und seinen Begleitern gerodet und damit bewohnbar gemacht worden sein.
Tatsächlich vollzog Pirmin die Gründung des Klosters im Auftrag des fränkischen Hausmeiers Karl Martell und die Franken ließen die Benediktinerregeln in der Abtei einsetzten. Das Kloster Reichenau war eine durchaus bewusste und absichtsvolle Gründung der Karolinger, die sich zu jenem Zeitpunkt im Aufstieg befanden und mit dem Kloster großen Einfluss am Bodensee gewinnen konnten. In den frühen Jahrzehnten unter Abt Waldo, der dem Kloster von 786 bis 806 vorstand, erfuhr die Abtei die volle Unterstützung der fränkischen Hausmeier und Könige. Unter Karl dem Großen begann die so genannte “goldene“ Ära der Klosterinsel. Nach der Errichtung des Marienmünsters, dem Kernbau der Klosteranlage, konnte bereits im Jahr 799 die Reichenauer Kirche St. Peter und Paul vollendet und geweiht werden. Abt Waldo gründete die Reichenauer Gelehrtenschule, welche die Abtei mit ihrer umfassenden Bibliothek bald zu einem kulturellen Zentrum des Reiches avancieren ließ. Aber auch im Bereich der Buchmalerei, der Literatur und der Bildenden Kunst war Reichenau seinerzeit in aller Munde. Unter Karl dem Großen kamen die Äbte in immer engere Berührung mit der Reichspolitik. Der Kaiser unterzog das Reich umfassenden Neuordnungen und Reformen, wodurch insbesondere im Bereich des Schriftwesens und der Bildungspolitik die Bedeutung der Äbte und Mönche stetig wuchs. Neben der Missionierung der alemannischen Einwohner zählte nun das Schreiben von Büchern und Chroniken sowie das wissenschaftliche Arbeiten - zum Beispiel das Geheimnis einer Sonnenfinsternis zu enttarnen oder in der heilenden Kraft der Kräuter die Grundlagen der Medizin und Pharmazie zu erforschen - zu ihren wesentlichen Aufgaben.
Im Jahr 816 wurde der steinerne Neubau des Marienmünsters fertiggestellt und geweiht. Waldos Nachfolger Abt Heito, der dem Kloster von 806 bis 823 vorstand, hatte auf den Bauresten des ursprünglich hölzernen Münsters einen Neubau befestigen lassen. Als Bischof und Vertrauter Karls des Großen kam Heito I. weit in der Welt herum. Die von ihm gesammelten Inspirationen aus einer diplomatischen Reise nach Byzanz im Jahr 811 spiegeln sich in der gewaltigen Kreuzbasilika des neuen Marienmünsters wieder. Unter Heito I. entstand zudem auf der Reichenau der St. Galler Klosterplan, die einzige, bis heute erhalten gebliebene Bauzeichnung aus dem karolingischen Zeitalter.
Unter Abt Walahfrid Strabo wurde die Reichenau insbesondere als Ort der geistigen Produktion bekannt. Strabo war verantwortlich für die Erziehung Karl des Kahlen und verfasste mehrere Dichtungen und Abhandlungen. Als sein bedeutendstes Werk gilt die “Visio Wetti,“ eine apokalyptische Vision seines ehemaligen Lehrers Wetti, dessen Schreckensbildern von Fegefeuer und Verdammung auch die mitunter vom Weltlichen zu sehr eingenommenen Kirchenmänner zu neuer Frömmigkeit ermahnen sollte. Gleichzeitig galt die “Visio Wetti“ als das erste Buch über eine Nahtoderfahrung, da Wetti sie auf dem Krankenlager im Angesicht des Todes erfahren haben soll. Um 827 entstand Strabos “Hortulus,“ ein frühes botanisches Werk mit einem Zyklus von Gartengedichten. In den Jahren 842 bis 849 stand er dem Kloster als Abt vor. Die Reichenauer Bibliothek avancierte in jener Zeit zu den größten des Reiches: 415 Handschriftenbände, ein unvorstellbarer Schatz in jener Epoche, wurden bereits im Jahr 821 dort gezählt.
Abt Heito III. zählte zweifelsohne zu den prominentesten Klostervorstehern der Reichenauer Abtei. Zwischen 888 bis 913 wirkte er als Abt, als Erzbischof in Mainz und als Reichskanzler des Heiligen Römischen Reichs. Im Gefolge Arnulfs von Kärnten, der sich 896 von Papst Formosus zum Kaiser krönen ließ, gelangte er nach Rom. Von seinem Papstbesuch kehrte er mit einer Reliquie von schier unschätzbarem Wert zurück – dem Haupt des Heiligen Georgs. Die Reliquie wurde zum Anlass genommen, einen weiteren Kirchenbau auf der Bodensee-Insel zu errichten: St. Georg in Oberzell. Für die Reliquie ließ Heito III. unter dem Altarraum in St. Georg eine beeindruckende Krypta anlegen. Mit der Inbesitznahme kostbarer Reliquien wie des Haupts des Heiligen Georgs oder den Gebeinen des Heiligen Markus konnte das Kloster einem gewissen Bedeutungsverlust der Reichenau zunächst erfolgreich entgegen wirken.
Nach dem Tod des Kaisers Arnulf von Kärnten im Jahr 899 übernahm er die Vormundschaft für den damals sechsjährigen Thronfolger Ludwig IV. und wirkte somit bis ins Jahr 911 als Reichsregent des letzten ostfränkischen Karolingers. 911 krönte er Konrad I. als ersten der Ottomanen zum König des ostfränkischen Reichs.
Mit dem Aufstieg der Ottomanen um die Jahrtausendwende erlebte die Klosterinsel eine zweite, bedeutende Glanzzeit. Häufige Besuche der ottonischen Könige machten die Reichenau zu einem kulturell prominenten Ort. Von den Königen Heinrich I., Otto I. und Otto II. erhielt sie zudem zahlreiche Privilegien, unter anderem Immunität, Zollfreiheit und das Wahlrecht. Eine Vielzahl von Schenkungen mehrte zudem den Wohlstand des Klosters, das sich im Laufe des 10. und 11. Jahrhunderts zu einer der einflussreichsten Malschulen Mitteleuropas entwickelte.
Unter dem als “goldenem“ Abt bekannt gewordenen Witigowo wurde unter anderem der Münster umgestaltet, darüber hinaus entstanden die berühmten St. Georgs- Fresken. Durch einen Brand wurde das Münster nur wenige Jahre später derartig in Mitleidenschaft gezogen, dass Witigowos Nachfolger, Abt Berno, das Münster neu aufbauen lassen musste. Dabei wurde der Münster weitestgehend umgestaltet und das Westquerhaus angefügt.
Bis etwa 1050 schritten die Bautätigkeiten und Ausgestaltungen auf der Klosterinsel stetig voran, danach jedoch begann das Kloster an Bedeutung zu verlieren. Nach der Regierungszeit des Abtes Diethelm begann der geistige und materielle Niedergang der Abtei als eine Folge der sozialen und wirtschaftlichen Umbrüche des Hochmittelalters. Neben den Klöstern lockten nun vor allem in den Städten neue Universitäten den bildungshungrigen Adel an und das Bürgertum forderte – auf Kosten des Klerus- mehr Rechte.
Kurze Aufschwünge konnten die Abtei noch mehrmals kurzfristig beleben, so wurde beispielsweise der Mittelzeller Münster noch durch einen spätgotischen Chor erweitert oder St. Georg im frühen 12. Jahrhundert neu errichtet. Auch entstand zu jener Zeit die Klostergeschichte des Radolfzeller Chronisten Gallus Öhem, eines der aufschlussreichen Dokumente über die Benediktinerabtei.
Mitte des 14. Jahrhunderts musste jedoch zeitweise der gesamte Klosterbesitz verpfändet werden, 1367 sah sich Abt Eberhard von Brandis gezwungen, alle Güter und sämtliche Rechte des Klosters zu verkaufen. Zur selben Zeit erhielten die Reichenauer Inselbewohner die Bürgerrechte.
1540 trat Abt Markus von Knöringen schließlich die Klosterleitung an den Bischof von Konstanz ab und Reichenau wurde mit ihren zwölf übrig gebliebenen Mönchen zu einer Verwaltungsstelle des Bistums, dem Obervogteiamt, degradiert. Alle Bestrebungen der Benediktinermönche, ihre Selbstständigkeit wieder zu erlangen, schlugen mehr oder minder fehl. Im Jahr 1757 wurde das Kloster aufgelöst, nach dem Reichsdeputationshauptschluss wurde es im Jahr 1803 endgültig aufgehoben. Nach 1000 Jahren verließen die letzten Benediktinermönche die Insel im Bodensee. Der Reichenauer Handschriftenbestand von 267 Pergamenthandschriften, 162 Papierhandschriften, 212 Fragmenten und einer Auswahl von Inkunabeln, gelangte 1805 in die Karlsruher Hofbibliothek, der späteren Badischen Landesbibliothek.
Bereits Heito I. hatte den ersten Rebstock auf der Insel pflanzen lassen und Jahrhunderte lang konnte dort der köstlicher Reichenau-Wein gedeihen. Im Winter 1929 jedoch erfroren nahezu alle Reben und die Reichenauer stellten auf den kältebeständigeren Gemüseanbau um. Jahrzehntelang galt die Reichenau, nicht ganz ohne spöttischen Unterton, als Gemüseinsel im Bodensee – ein Image, das sich mit der Ernennung der Klosterinseln zum UNESCO-Weltkulturerbe im Jahr 2000 wohl erübrigt hat. Seit 2001 lebt wieder eine kleine Gemeinschaft von Benediktinermönchen auf der Insel. Die alte Reichenauer Buchmalerei wurde im Jahr 2003 in das Weltdokumentenerbe der UNESCO aufgenommen.
Beschreibung des Mittelzeller Marienmüsters
Das Marienmünster ist die größte der drei romanischen Kirchen auf der Reichenau und der Kernbau der Klosteranlage. Die ältesten Baureste von St. Maria und Markus gehen bis in die Gründungszeit um 724 zurück. Wahrscheinlich handelte es sich bei der ursprünglichen Anlage um einen hölzernen, lang gestreckten Saalbau mit einem östlichen Rechteckchor, an welchen sich wiederum der Kreuzgang und die Klosterbauten anschlossen.
Im frühen 9. Jahrhundert wurde der steinerne Neubau der Klosterkirche errichtet, im Jahr 816 wurde das Münster St. Maria und Markus geweiht. An der gewaltigen, dreischiffigen Kreuzbasilika fallen insbesondere ihr kurzes Langhaus, das deutlich erhöhte Mittelschiff und ihr Raumsystem mit einem zentralen Vierungsquadrat im östlichen Kirchenteil auf. Das Marienmünster ist daher neben dem Aachener Dom beispielhaft für die byzantinisch inspirierte, so genannte Karolingische Renaissance. Zu Beginn des 10. Jahrhunderts wurde ein zusätzliches Westquerhaus mit Westchor errichtet. Das Westwerk stellte einen eigenständigen Baukörper dar, funktionierte jedoch als eine reine Abschlusswand ohne besondere liturgische Bedeutung.
Auf der Empore des Westwerks wurde ein Altar mit der Markus-Reliquie errichtet.
Nach einem Brand im 11. Jahrhundert wurde das Münster erneut umgestaltet und erhielt sein bis heute bestehendes Erscheinungsbild mit dem Westchor, den seitlichen Eingangshallen und den Emporen. Während dieses Umbaus unter Abt Berno I. wurde in die ursprüngliche Ästhetik des Bauwerks wesentlich eingegriffen; nicht mehr byzantinische Vorbilder, sondern vor allem die alte St. Peterskirche in Rom wurde dabei zitiert. Die Arkaden der Seitenschiffe sowie die nicht erhaltenen Säulenabschlüsse des Westquerhauses zu den Seitenschiffen hin bestimmten das neue Raummotiv ganz wesentlich. Der heutige Dachstuhl wurde erst im frühen 13. Jahrhundert errichtet. Der Chor mit seinem Kreuzrippengewölbe, wie er auch heute noch besteht, entstammt der letzten Bauphase im 15. Jahrhundert.
Zu der gewaltigen Basilika gehört auch eine reiche Schatzkammer mit bedeutenden Reliquien und Schreinen. Zu den wichtigsten Kunstschätzen des Marienmünsters zählen unter anderem der Markusschrein und eine Standfigur der Mutter Gottes. Das Original des Markusschreins wird heute in der Schatzkammer aufbewahrt, die Nachbildung im Westchor kann auf das frühe 14. Jahrhundert datiert werden. Der hausförmige Kasten mit seinem Walmdach wurde mit kostbaren, vergoldeten Reliefplatten belegt und reich verziert. Auf den Längsseiten wurden jeweils fünf Szenen aus dem Leben der Mutter Gottes und aus der Passion Christi dargestellt. Auf einer Schmalseite sind die Stifter des Schreins, König Albrecht und Königin Elisabeth bei der Überreichung von Szepter und Reichsapfel an den Apostel Markus zu sehen. Auf der anderen Schmalseite wurde eine Szene dargestellt, welche die Echtheit der Reliquie bezeugen sollte: Ein venezianischer Kaufmann legte der Legende nach gleichzeitig die eine Hand in siedendes Wasser und seine zweite Hand auf den Schrein. Da er sich dabei die Hand im siedenden Wasser nicht verbrühte, galt damit ein göttliches Urteil über den Schrein gesprochen.
Die Standfigur der Mutter Gottes befindet sich an der Nordwand des Vorchors und stammt vermutlich aus der Zeit um 1300, als die Reichenau von ihrem neuen Verwalter, dem Konstanzer Bischof Heinrich, umgestaltet wurde. Zahlreiche neue Bilder entstanden in den Reichenauer Kirchen zu jener Zeit, beispielsweise der monumentale Christophorus an der Nordwand des Münsters, oder eben die Replik des Markusschreins und jene Figur der Muttergottes. An der Marienskulptur sind Einflüsse des “oberrheinischen“ Stils erkennbar; typisch für diesen so genannten Weichen Stil des Hochmittelalters ist die geschwungene Haltung des Körpers und dessen drehender Bewegung, der prägnante Faltenwurf und die idealisierte Formung des Gesichts.
Des Weiteren erzählt ein Gemälde im südlichen Seitenschiff auf der Höhe des Vorchors vom Gründungsmythos der Insel Reichenau: Es zeigt die Ankunft Pirmins und die Vertreibung allen Ungeziefers von der Insel. Eine beschriftete Fußbodenplatte im Chor weist auf das Grab des im Jahr 888 hier beigesetzten Kaisers Karl III. hin. In der Schatzkammer befindet sich neben dem Original des Markusschreins unter anderem das byzantinische Abtskreuz, welches als Doppelreliquie sowohl blutgetränkte Erde von Golgatha als auch Holzsplitter des heiligen Kreuzes enthalten soll.
Zu der gewaltigen Basilika gehört auch eine reiche Schatzkammer mit bedeutenden Reliquien und Schreinen. Zu den wichtigsten Kunstschätzen des Marienmünsters zählen unter anderem der Markusschrein und eine Standfigur der Mutter Gottes. Das Original des Markusschreins wird heute in der Schatzkammer aufbewahrt, die Nachbildung im Westchor kann auf das frühe 14. Jahrhundert datiert werden. Der hausförmige Kasten mit seinem Walmdach wurde mit kostbaren, vergoldeten Reliefplatten belegt und reich verziert.
Auf den Längsseiten wurden jeweils fünf Szenen aus dem Leben der Mutter Gottes und aus der Passion Christi dargestellt. Auf einer Schmalseite sind die Stifter des Schreins, König Albrecht und Königin Elisabeth bei der Überreichung von Szepter und Reichsapfel an den Apostel Markus zu sehen. Auf der anderen Schmalseite wurde eine Szene dargestellt, welche die Echtheit der Reliquie bezeugen sollte: Ein venezianischer Kaufmann legte der Legende nach gleichzeitig die eine Hand in siedendes Wasser und seine zweite Hand auf den Schrein. Da er sich dabei die Hand im siedenden Wasser nicht verbrühte, galt damit ein göttliches Urteil über den Schrein gesprochen.
Die Standfigur der Mutter Gottes befindet sich an der Nordwand des Vorchors und stammt vermutlich aus der Zeit um 1300, als die Reichenau von ihrem neuen Verwalter, dem Konstanzer Bischof Heinrich, umgestaltet wurde. Zahlreiche neue Bilder entstanden in den Reichenauer Kirchen zu jener Zeit, beispielsweise der monumentale Christophorus an der Nordwand des Münsters, oder eben die Replik des Markusschreins und jene Figur der Muttergottes. An der Marienskulptur sind Einflüsse des “oberrheinischen“ Stils erkennbar; typisch für diesen so genannten Weichen Stil des Hochmittelalters ist die geschwungene Haltung des Körpers und dessen drehender Bewegung, der prägnante Faltenwurf und die idealisierte Formung des Gesichts.
Des Weiteren erzählt ein Gemälde im südlichen Seitenschiff auf der Höhe des Vorchors vom Gründungsmythos der Insel Reichenau: Es zeigt die Ankunft Pirmins und die Vertreibung allen Ungeziefers von der Insel. Eine beschriftete Fußbodenplatte im Chor weist auf das Grab des im Jahr 888 hier beigesetzten Kaisers Karl III. hin. In der Schatzkammer befindet sich neben dem Original des Markusschreins unter anderem das byzantinische Abtskreuz, welches als Doppelreliquie sowohl blutgetränkte Erde von Golgatha als auch Holzsplitter des heiligen Kreuzes enthalten soll.
Beschreibung der Oberzeller Kirche St. Georg
Die Oberzeller Kirche St. Georg entstand unter Abt Hatto I. am Ende des 9. Jahrhunderts und ist bis heute berühmt für seine monumentalen, ottonischen Wandmalereien aus dem 10. Jahrhundert. Der unmittelbare Anlass für die Errichtung der frühmittelalterlichen Säulenbasilika war offenbar die Schenkung der Georgsreliquie durch den Papst. Im Laufe der Jahrhunderte wurde St. Georg mehreren Umbauten unterzogen, so wurde beispielsweise die Nikolaskapelle erst im 11. Jahrhundert errichtet. Der hochgelegte Chor und die Krypta stammen ebenfalls aus späteren Zeiten. Die Georgsreliquie wurde aller Wahrscheinlichkeit nach in das Fundament des Chorraums eingelassen. Dem Wert der Reliquie entsprechend fiel der Kirchenbau der Georgsbasilika besonders prunkvoll und repräsentativ aus. Reste von nördlichen Anbauten und die massiven Zellen im Querhaus des Chorraumes deuten jedoch auch auf eine zeitweilige Nutzung durch einzelne Mönche, vermutlich zum meditativen Rückzug, hin.
Der äußere, massive Eindruck der Kirche entsteht zunächst durch die großen Mauerflächen, die lediglich durch funktionale Bauelemente gegliedert wurden. Die Funktionalität der Architektur und die Entsprechung von innerer und äußerer Raumgliederung gelten als typische Beispiele einer frühmittelalterlichen Architektur. Eine ornamentale Fassadengestaltung fehlt dabei gänzlich. Das Gebäude erscheint, als wäre es aus den einzelnen, typologischen Bauelementen wie der Vorhalle, dem Langhaus, dem Zellenquerhaus und dem Turm zusammengesetzt worden. Die dreischiffige Säulenbasilika verfügt über ein erhöhtes Mittelschiff, ein rechteckiges Zellenquerhaus, eine erhöhte quadratische Vierung und einen quadratischen Altarraum. Der Eintritt in den Innenraum der Kirche erfolgt durch die Westapsis.
Die Wandmalereien, welche auf die Zeit um etwa 1000 zu datieren sind, gliedern die großflächigen Langhauswände. Das Bildprogramm der Kirche vereint die gesamte Heilsgeschichte - mit der Verkündigung im Triumphbogen, dem Leben und den Wundern Christi auf den Langhauswänden, der Apostelgeschichte im oberen Bereich des Langhauses, die Funktion der Kirche in den Säulenzwickeln und schließlich das Weltgericht in der Eingangskonche.
Bei den Malereien wurde mit Vorzeichnungen und Schablonen gearbeitet, deren Vorlagen zum großen Teil aus der Reichenauer Buchmalerei stammten. Die neun Langhausszenen stellen vor allem die Wunder und Heilungen Christi dar. Innerhalb des Bildprogramms lässt sich eine deutliche Steigerung ausmachen: Jesus besiegt darin zunächst Krankheiten und körperliche Gebrechen, dann die Bedrohungen durch die Natur und schließlich den Tod.
Im frühen 12. Jahrhundert wurde St. Georg neu gebaut. Die erhaltenen Fresken der Ostapsis gelten als das letzte große Werk der Reichenauer Maler. Die nicht erhaltenen Malereien im Chorraum stellten wahrscheinlich Jesus in seiner Rolle als Erlöser dar. Die Darstellung des Weltgerichts in der Eingangshalle wurde im 18. Jahrhundert mit demselben Motiv, jedoch in spätbarocker Manier übermalt. Die ursprünglich dunklen Lichtverhältnisse der Kirche sowie der fehlende Realismus der Malerei verdeutlichen die damalige Funktion von bildlichen Darstellungen im sakralen Raum. Der Bildzyklus der Georgsbasilika diente der Verkündigung des Heilsgeschehens in Form eines prächtigen und feierlichen Ornamentes. Die wichtigste rituelle Aufgabe der Oberzeller Fresken ist die Einstimmung des Gläubigen ins Gebet und in die Verherrlichung der Kirche.
Beschreibung der Niederzeller Kirche St. Peter und Paul
Bischof Egino von Verona stiftete im Jahr 793 die Niederzeller Kirche St. Peter und Paul. Egino entstammte einem alemannischen Adelsgeschlecht und wurde im Jahr 790 zum Bischof von Verona berufen. Seine Gründe für eine derartige Kirchenstiftung waren ebenso einfach wie nachvollziehbar- er beabsichtigte, seinen Lebensabend auf der Reichenau im Bodensee zu verbringen. Im Jahr 799 wurde die Basilika geweiht und ihr Stifter wurde nach seinem Tod im Jahr 802 in der Kirche St. Peter und Paul beigesetzt.
Der ursprüngliche Saalbau der Kirche verfügte über eine Ostturmfassade und eine eingezogene Apsis, die einst prachtvoll geschmückt gewesen sein muss. Ornamentale Reliefs im nördlichen Seitenschiff zeugen noch heute von der ursprünglichen Gestaltung und lassen auf mitunter lombardische Einflüsse schließen.
Um 1080 wurde nach mehreren Bränden der Gründungsbau abgebrochen und die heutige querhauslose Säulenbasilika auf den alten Fundamenten errichtet. Die letzten Dacharbeiten an diesem Neubau können auf das Jahr 1134 datiert werden.
Im 18. Jahrhundert erfolgte eine umfassende Neugestaltung des Innenraums im Stil des Spätbarocks. Die romanische Säulenbasilika verfügt dadurch heute über ein großes Fenster, welches ein romanisches Mittelfenster ersetzt, das wahrscheinlich seinerzeit mit Glasmalereien verziert war. Im Süden schlossen an die Basilika früher eine Kapelle und ein weiterer, ummauerter Gebäudetrakt an. An der Westseite ist ebenfalls eine einstige Mauerumfriedung nachzuweisen.
Der Innenraum der Kirche St. Peter und Paul dokumentiert aufgrund der Umgestaltung im 18. Jahrhundert jedoch weniger die frühmittelalterliche Darstellungskunst, sondern eher die Gestaltungsprämissen des Rokoko. So wurde beispielsweise die Holzdecke durch ein Stuckgewölbe ersetzt und im Westteil eine Orgelempore eingezogen. Die im 11. Jahrhundert entstandenen Säulenarkaden mit ihren strengen, ornamental verzierten Kapitellen wurden wiederum erhalten.
Das wieder entdeckte Gemälde in der Apsis kann auf die Zeit des frühen 12. Jahrhunderts datiert werden. In dem dargestellten Bildmotiv der “Majestas Domini“ thront Christus auf einem Regenbogen, die Füße auf dem Erdkreis und segnet mit der Rechten die Erde. In der Linken hält er die aufgeschlagene Bibel. Christus wird in dem Gemälde von einer Mandorla umgeben und von Petrus, Paulus und den vier apokalyptischen Wesen, dem Adler, dem Löwen, dem Stier und dem Menschen begleitet. Gemalte Arkadenbögen unterteilen die untere Wandfläche in zwei Zonen: In der unteren Zone sind die zwölf Propheten des Alten Testaments als Verkünder Christi, in der oberen Zone sind die zwölf Apostel als Zeugen Christi dargestellt, wodurch das Neue Testament einen klaren, hierarchischen Bezug auf das Alte Testament nimmt. Das Bildmotiv entspringt nahezu buchstäblich aus der Offenbarung des Johannes und der darin als Wundertäter dargestellte Christus stellt eine für jene Epoche typische Bildwahl dar.
Nutzungen, Besichtigungen, Öffnungszeiten
Die Insel Reichenau liegt etwa 12 km westlich von Konstanz im südwestlichen Abschnitt des Bodensees, dem sog. Untersee. Etwa 3.000 Menschen bewohnen die drei Streusiedlungen Ober-, Mittel- und Niederzell, deren Haupterwerbszweig der Gemüseanbau darstellt.
Die Klosteranlage der Insel Reichenau beherbergt seit 2001 wieder eine kleine Gemeinschaft von Benediktinermönchen. Nichtsdestotrotz ist die Insel mit ihren Kirchen für Touristen und dem Museum Reichenau zu besichtigen.
Die drei wichtigen Kirchen der Reichenau sind das Marienmünster St. Maria und Markus, St. Georg und St. Peter und Paul. Führungen im Münster St. Maria und Markus mit einem Besuch in der Schatzkammer sind nur nach Voranmeldung und individueller Terminierung möglich. Gruppen bis 20 Personen zahlen für die Führung inklusive Eintritt in die Schatzkammer pauschal 60,- €, Gruppen bis 40 Personen zahlen pauschal 70,-€, Gruppen bis 50 Personen zahlen pauschal 80,-€.. Eine Führung dauert etwa 60 Minuten. Führungen in St. Georg in Reichenau-Oberzell und in St. Peter und Paul in Reichenau-Niederzell sind ebenfalls nur nach Voranmeldung und individueller Terminierung möglich. Gruppen bis 20 Personen zahlen für die Führung pauschal 45,- €, Gruppen bis 40 Personen zahlen pauschal 55,-€ und Gruppen bis 50 Personen zahlen pauschal 65,-€.. Eine Führung dauert zwischen 45 und 60 Minuten. An Sonn- und Feiertagen wird ein einmaliger Sonntagszuschlag von 5,-€ berechnet. Fremdführungen sind nicht gestattet.
Reservierungen können bei der Reichenauer Touristen-Information in der Pirminstrasse 145, 78479 Insel Reichenau sowie telefonisch unter 0049- (0)75 34 - 92 070 und per E-mail an info@reichenau-tourismus.de vorgenommen werden.
Weitere Informationen erteilt das Bürgermeisteramt Reichenau am Münsterplatz 2, 78479 Reichenau telefonisch unter 0049-(0)75 34- 80 10 oder per E-mail an rathaus@reichenau.de.
Das Museum Reichenau informiert in vier Museumseinheiten über die Geschichte und kulturhistorische Bedeutung der Reichenau.
Die Museumsgebäude befinden sich in unmittelbarer Nähe zu den drei romanischen Kirchen und stellen ein umfassendes Informationsnetzwerk zum Weltkulturerbe Klosterinsel Reichenau dar. Die zentrale Einheit des Museumskomplexes befindet sich im so genannten “Alten Rathaus“ und gibt ganz grundsätzliche Eindrücke zum Mittelalter und zur “goldenen Zeit“ der Klosteranlage. Vermittelt wird hier unter anderem die Baugeschichte des Marienmünsters, die Dichtung des Walahfrid Strabo sowie der St. Galler Klosterplan und umfassende Beispiele der Reichenauer Buchmalerei. Aber auch die Reichenauer Bürgergeschichte und die Entwicklung der Landwirtschaft werden im “Alten Rathaus“ dokumentiert.
Die drei weiteren Museumsgebäude schildern unter anderem die Baugeschichte der jeweils nächstliegenden Kirche sowie die berühmten Wandmalereien in St. Georg. Sonderausstellungen zur Klostergeschichte, zu Reichenauer Künstlern und zur Geschichte des Bodenseeraumes sorgen für ein abwechslungsreiches, museales Angebot auf der Klosterinsel.
Das Museum Reichenau ist von April bis Oktober dienstags bis sonntags von 10:30 bis 16:30 Uhr geöffnet. In den Sommermonaten Juli und August ist das Museum dienstags bis sonntags von 10:30 bis 17:30 Uhr geöffnet. Von November bis März ist das Museum samstags, sonntags und an Feiertagen von 14:00 bis 17:00 Uhr geöffnet.
Der Eintrittspreis beträgt pro Person 3,- € oder für Kinder von 7 bis 14 Jahren jeweils 1,50 €. Gruppen ab 15 Personen zahlen 2,-€ pro Person.
Informationen erteilt die Touristen-Information telefonisch unter 0049- (0)75 34 - 92 070 und per E-mail an info@reichenau-tourismus.de.
An drei außerordentlichen Feiertagen, die tatsächlich nur auf der Insel Reichenau gefeiert werden, werden in Prozessionen die Reliquien feierlich über die Insel getragen. Informationen zu den Prozessionsterminen erteilt die Touristen-Information telefonisch unter 0049- (0)75 34 - 92 070 und per E-mail an info@reichenau-tourismus.de.
Mit dem PKW erreicht man die Insel Reichenau von der B 33 von Konstanz nach Allensbach und nimmt von dort aus die Pappelallee des aufgeschütteten Damms, der direkt auf die Insel führt. Mit dem Fahrrad erreicht man die Insel vom Konstanzer Hauptbahnhof in etwa 20 bis 30 Minuten. Des Weiteren fährt eine Buslinie die Insel direkt vom Hauptbahnhof aus an.
Besonderheiten
Im Jahr 2000 wurde die Klosterinsel Reichenau zum Weltkulturerbe der Menschheit erklärt. Das Ensemble der drei romanischen Kirchen stellt zweifelsohne ein Meisterwerk menschlicher Schöpferkraft dar. Die gesamte Anlage vermittelt einen umfassenden Eindruck über die einstige klösterliche Tradition und Entwicklung. Die außerordentlich gut erhaltene Klosteranlage dokumentiert die mitteleuropäische Klosterarchitektur des 9. bis 12. Jahrhunderts. Die Wandmalereien in St. Georg sind nicht nur für die europäische Kunstgeschichte des 10. Jahrhunderts, sondern auch als Dokumentation des religiösen Lebens von enormer Bedeutung.
Darüber hinaus ist die Reichenau mit konkreten Ereignissen der karolingischen und ottonischen Epoche und bedeutenden künstlerischen Werken, allem voran mit den Werken der Reichenauer Buchmalerei, untrennbar verknüpft.
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