Lawinen

Einleitung

Wer das Wort Lawine hört, denkt sicherlich in den meisten Fällen an Schneelawinen. Aber es gibt eine ganze Reihe weiterer Arten von Lawinen mit völlig anderen Zusammensetzungen, die in gleicher Weise zerstörerisch und gefährlich für Mensch, Tier, Pflanzen und alle Arten von Gebäuden sind. So gibt es Eislawinen, Schlamm- bzw. Gerölllawinen oder Steinlawinen.

Eine der spektakulästen Schnee-Lawinen in Mitteleuropa ging am 23. Februar 1999 um 16:00 auf den österreichischen Skiort Galtür nieder. Galtür liegt im Bezirk Landeck im Bundesland Tirol. Diese Mehrschichtlawine, deren oberste Schicht mit über 400 km/h auf den Ort zuraste, tötete 31 Menschen und zerstörte einen Teil des Ortes. Insgesamt verwüsteten ca. 160.000 Tonnen Schnee den Ort.
Nach tagelangen schweren Schneefällen ging die Lawine in dem Berggrat zwischen dem Grieskogel (2.884 m) und dem Grieskopf (2.754 m) nörlich des Ortes ab. Der ursprüngliche Pulverschnee verhärtete sich nach einer Weile so stark, dass er nur noch mit starken elektrischen Sägen zerteilt werden konnte. Am 23. Februar 2009 - 10 Jahre danach - versammelten sich zahlreiche Menschen, sowohl Angehörige, damalige Gäste und die Einwohner zu einem feierlichen Gedenken an die 31 Opfer. Einen Tag später riss eine Lawine in dem nur wenige Kilometer entfernten Ort Valzur sieben Menschen in den Tod.
Der Begriff Lawine leitet sich von dem lateinischen Wort "labes" ab, was soviel wie Dahingleiten, Sturz und Untergang bedeutet. Im Folgenden werden eine Reihe von Lawinen vorgestellt, wobei jedoch das Hauptaugenmerk auf Schneelawinen gelegt wird. Der Grund ist, das weltweit in derartigen Lawinen die meisten Menschen zu Schaden kommen und sie außerdem die weitaus häufigste Lawinenart weltweit darstellt.

Hangsteilheiten


Bei der Beschreibung von Lawinen wird immer wieder von der Steilheit von Hängen oder Bergkämmen gesprochen. Deshalb seien hier die wissenschaftlich verbindlichen Definitionen der verschiedenen Steilheiten kurz erläutert:

  • kleiner als 30°: mäßig steil
  • 30° bis 35°: steil
  • 36° bis 40°: sehr steil
  • über 40°: extrem steil

Schlamm- und Gerölllawinen


Unter Schlamm- bzw. Gerölllawinen versteht man ein Gemisch aus Wasser, Erde (Schlamm) und Geröll. Sie entstehen meist an steileren Hanglagen, die gerodet oder baumlos sind.
Eine Schlammlawine, oder auch Mure genannt, wird meist nach heftigen Regenfällen oder nach einer Schneeschmelze auf lockerem Boden ausgelöst. Der Boden ist dann durchtränkt von Wasser, sodass das Material wie auf einem dünnen Film ins Rutschen gerät. Da der Untergrund kaum einen Halt durch Wurzeln, Bäume, Sträucher u. a. findet, können sie mit hoher Geschwindigkeit und großen Mengen Materials ins Tal stürzen und alles mitreißen oder unter sich begraben, was ihnen im Weg steht. Einen Schutz vor derartigen Lawinen findet u. a. durch Spezialgitter an den Hängen statt, die den Schlamm vom Wasser trennen sollen. In Japan hat man mit derartigen Maßnahmen und besonderen betonierten Schlammrinnen sehr gute Erfahrungen gemacht.
Eine besonders riesige Schlammlawine mit ca. 19.000 Toten verwüstete am 16. Dezember 1999, nach schweren Niederschlägen, die Region um Vargas in Venezuela.

Eine besonders gefährliche Art von Schlammlawinen ergibt sich oft nach Vulkanausbrüchen. So tauten beim Ausbruch des Mount St. Helens im Bundesstaat Washington/USA am 18. Mai 1980 große Mengen Eis und Schnee an den Hängen des Vulkans sehr schnell ab und führten infolgedessen zu riesigen und verheerenden Schlammlawinen. Aber auch die großen Mengen an Asche, die sich nach Vulkanausbrüchen an den Hängen ablagern, können bei späteren Regenfällen als Schlammlawinen ins Tal rasen.

Am 17. Februar 2006 begrub eine meterhohe Schlammlawine, die sich von dem 700 m hohen Canabag-Berg auf der Insel Leyte gelöst hatte, etwa 500 Häuser unter sich, mit wahrscheinlich über 1.000 Toten. Die Ursachen lagen in der massiven Abholzung der Wälder und sehr starken Regenfällen. Der Auslöser der Katastrophe war wahrscheinlich ein Erdbeben in der Region!

Steinlawinen


Unter Steinlawinen versteht man große Mengen von größeren Steinen und Geröll, das an Berghängen aufgrund mechanischer Einwirkungen instabil wird und ins Rutschen kommt.
Aufgrund der großen Masse, der Härte des Gesteins sowie seiner hohen Geschwindigkeit, die 100 km/h überschreiten kann, haben derartige Lawinen eine riesige Zerstörungskraft. Selbst stabile Häuser oder gar Betonschutzwälle vermögen ihnen keinen oder nur einen geringen Widerstand entgegen zu setzen. Derartige größere Steinlawinen werden vor allem durch Erdbeben ausgelöst. Von den Steinlawinen zu unterscheiden sind Steinschläge, bei denen einzelne wenige Steinbrocken ins Rutschen geraten.
Oft ist Wasser die Ursache, dass in Gesteinsritzen eingedrungen und gefroren ist und somit einzelne Gesteinsbrocken abgelöst hat. Dieser Vorgang wird als Frostsprengung bezeichnet. Gegen eine große Steinlawine gibt es praktisch keinen Schutz, wer oder was auf ihrem Weg ins Tal liegt, wird unweigerlich zerstört.

Eislawinen

Unter Eislawinen versteht man große Mengen von Eis, die z. B. von einem Gletscher abgebrochen sind und einen Hang mit größerer Geschwindigkeit hinabrasen.

Aufgrund der festen Konsistenz derartiger Lawinen besteht für Menschen, die sich in deren Bahn befinden, kaum eine Überlebenschance. Aber auch größere Gebäude können erheblichen Schaden nehmen, obwohl sie nur sehr selten von Eislawinen erreicht werden.

Schneelawinen


Allgemein versteht man unter einer Schneelawine größere Mengen von Schnee mit mehr als 100 m3 und einer Länge von über 500 m oder Staublawinen , die aus Schneestaub bestehen und an Hängen mit einer Steigung von über 30° in schnelle Bewegung geraten.
Die Geschwindigkeit von Staublawinen kann dabei sogar über 300 km/h betragen, während schwere Nassschneelawinen oft "nur" einige Zehner km/h schnell sind. Die meisten Lawinen gehen in meist bekannten und oft gut erkennbaren Tobeln bzw. Rinnen ab. Man unterscheidet im Prinzip zwei Arten von Lawinen, wobei Schneebretter eine Sonderstellung einnehmen.
Allein in den deutschen Alpen gibt es jedes Jahr nach einer groben Schätzung einige tausend Lawinenabgänge. Die meisten davon haben keine oder kaum größere Schäden zur Folge. Aber trotz aller Warnungen und Vorsichtsmaßnahmen sowie hervorragender Lawinenwarndienste kommen in den Alpen jährlich etwa zwischen 50 bis 100 Menschen durch Lawinen ums Leben. Nicht selten befinden sich unter den Opfern sogar erfahrene Skilehrer oder Bergsteiger. Interessanterweise sind bis zu 90% der in Lawinenunglücke verwickelten Menschen Männer. Auch immer mehr Snowbaorder befinden sich unter den Opfern.

In den Schweizer Alpen beispielsweise starben von 1937 bis 1999 insgesamt 1.592 Menschen in Lawinen. Dabei kamen rund 13 % aller von Lawinen erfassten Menschen ums Leben, während die Tödlichkeit bei denjenigen, die ganz verschüttet waren sogar bei rund 50 % lag. Von1990 bis 2010 kamen in Österreich ca. 550 Menschen bei Lawinenunglücken ums Leben. Erstaunlicherweise verschwinden dagegen in Österreich während der Sommermonate erheblich mehr Menschen.
Die schwersten Lawinenunglücke in den Alpen ereigneten sich im Jahr 1965 in Garmisch-Partenkirchen mit rund 100 Toten sowie während des Lawinenwinters 1953/1954 im Bundesland Vorarlberg/Österreich mit 124 Toten. Noch in schlimmer Erinnerung ist auch der extrem schneereiche Winter des Jahres 1999, der z. B. am 28. Dezember zu einer gewaltigen, ca. 400 m breiten Staublawine führte, die den Tiroler Wintersportort Galtür verwüstete und zu 31 Toten führte.
Die Entstehung, Größe und Geschwindigkeit von Schneelawinen hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Es sind dies:

  • Schneehöhe
  • Menge an Neuschnee
  • Temperaturen, Temperaturänderungen
  • Windverhältnisse
  • Hangsteilheit
  • Bodenbeschaffenheit
  • älterer Schneeuntergrund

Folgende Arten von Schneelawinen werden unterschieden:

  • Nassschneelawinen
    Die typischen Nassschneelawinen gehen meist im Frühjahr, zur Zeit der Schneeschmelze, ab. Dabei wälzen sich riesige Mengen von nassem und schwerem Schnee zu Tal. Diese Lawinen sind so genannte Fließlawinen, da sie sich fließend oder gleitend auf dem Untergrund fortbewegen. In den meisten Skiorten sind die Bahnen und sogar die ungefähre Zeit der Abgänge dieser Lawinen bekannt.
Um die Gefahr für die Menschen zu minimieren, hat man entweder in den betroffenen Straßen Tunnels gebaut oder aber man "schießt" die Lawinen mit Hilfe von Sprengstoff zu bestimmten Zeiten gezielt ab. Oft aber müssen auch ganze Straßen wegen der Gefahr vor Lawinenabgängen gesperrt werden, was dazu führt, dass bestimmte Orte eine Zeit lang nicht erreichbar sind. Die Geschwindigkeit von Nassschneelawinen beträgt etwa 30-60 km pro Stunde. Nur selten gelangen diese Lawinen auf die Gegenhänge. Aber sie bilden, vor allem im Tal, wo sie zum Stillstand kommen, meterhohe (oft weit über 10 m) Schneeberge, die oft erst im Laufe des Sommers verschwinden.
  • Staublawinen
    Staublawinen sind Schneelawinen, die aus einem Gemisch von Luft und feinem, trockenem Schnee bestehen und sich bei ihrem Weg ins Tal vom Boden abheben. Sie sind daher keine Fließlawinen. Obwohl ihre Dichte nur 5 bis 10 kg pro m3 beträgt, haben Staublawinen, aufgrund ihrer extrem hohen Geschwindigkeit und eines Überdrucks von bis zu 3 bar, eine riesige Zerstörungskraft. Ihre Geschwindigkeit kann über 100 m/s, also über 360 km/h betragen.
    Meist entsteht eine Staublawine erst als "Fließlawine" von trockenem, meist frisch gefallenem Schnee. Saugt sie aber während des Abgangs, aufgrund starker Luftturbulenzen immer mehr Schnee und Luft an, kann sie sehr schnell zu einer bis über 100 m hohen und mehreren hundert Meter breiten Staublawine anwachsen. Derartige Lawinen breiten sich in der Regel nicht in vorgeformten Rinnen oder ähnlichem aus, sondern rasen "quer übers Gelände" zu Tal. Auf ihrem Weg zerstören sie alles, sogar ganze Wälder können abgeholzt werden. Auf dem Gegenhängen rasen sie oft noch viele 100 m hinauf und führen auch dort zu schweren Zerstörungen.
    Es gibt einen eindrucksvollen Film von Lawinenforschern, die in einem kleinen Betonhäuschen in den Alpen mit Messinstrumenten den Abgang einer künstlich ausgelösten Staublawine beobachten wollten. Die Gewalt der Lawine war so groß, das die Forscher in Todesängste gerieten und der ganze Raum mit feinstem Schneestaub ausgefüllt war. Die Forscher konnten anschließend nur noch mit großem Aufwand von außen befreit werden.
    Staublawinen kommen jedoch nur in höheren Lagen, also im Hochgebirge, vor und entstehen auf Hängen mit einer Steigung von mehr als 30°. Eine weitere Voraussetzung ist natürlich das Vorhandensein von pulvrigem Schnee, der nur unterhalb des Gefrierpunktes über einen längeren Zeitraum haltbar ist.
    Gerät man in eine Staublawine und atmet das Gemisch ein, kommt es in den meisten Fällen zum Tod durch Ersticken. Als auslösende Ursache genügt unter Umständen schon lautes Schreien.
  • Schneebretter
    Unter einem Schneebrett versteht man den Abgang von einigen Zehner bis einigen 100 Quadratmetern Schnee, der meist durch Menschen oder Tiere ausgelöst wird. Dabei bricht eine instabile Schneedecke unter der Belastung ab und rutscht einige 100 m den Hang hinab. Dabei können Wanderer oder Skifahrer so verschüttet werden, dass sie dabei sogar zu Tode kommen können. Der Übergang von einem Schneebrett zu einer Lawine ist dabei natürlich fließend. Und unter bestimmten Umständen kann sich ein Schneebrett auch in eine riesige Lawine verwandeln.
  • Lawinengefahrenskala


    Zum Schutz der Menschen in den Bergen hat man sich international auf eine fünfstufige Lawinenwarnskala geeinigt. Die aktuelle örtliche Lawinengefahr wird oft mehrfach am Tag im Internet, im Radio und im Fernsehen und täglich in den Printmedien bekannt gegeben.

    Europäische Lawinengefahrenskala

    Gefahrenskala Gefährdungspotenzial Bemerkungen
    1 gering Die Schneedecke ist gut verfestigt und stabil. Spontane Abgänge sind nur als Schneerutscher und Kleinstlawine zu erwarten.
    2 mäßig Die Schneedecke ist im allgemeinen gut verfestigt, mit Ausnahme einiger steiler Hänge. Große und mittlere spontane Lawinenabgänge sind nicht zu erwarten. Aber bei größeren Zusatzbelastungen (z. B. durch Skifahrer) kann es an steilen Hängen zu Abgängen kommen.
    3 erheblich Die Schneedecke ist an vielen steilen Hängen nur mäßig bis schwach verfestigt. Eine Lawinenauslösung ist an bestimmten steilen Hängen auch bei geringer Zusatzbelastung möglich.
    4 groß Die Schneedecke ist an den meisten steilen Hängen nur schwach verfestigt. Spontane Abgänge auch größerer Lawinen sind möglich. Bereits bei geringer Belastung sind an zahlreichen Hängen Lawinenabgänge möglich.
    5 sehr groß Die Schneedecke ist allgemein schwach verfestigt und weitgehend instabil. Auch in mäßig steilem Gelände sind spontane Lawinenabgänge zu erwarten.

    Es sei erwähnt, dass in den Wintern von 1993/1994 bis 2001/2002 im Bundesland Tirol/Österreich im Mittel an 36 % der Wintertage Gefahrenstufe 3 herrschte. Während dieser Warnstufe geschahen jedoch 63 % aller Lawinenunglücke mit Personenbeteiligung.

    Vorsichts- und Rettungsmaßnahmen

    In den Alpen existiert ein hervorragendes Lawinenwarnsystem, deren Informationen mehrmals täglich erneuert werden und auch über das Internet abrufbar sind. Insofern besteht die Möglichkeit, einer drohenden Lawinengefahr bereits durch ein adäquates Verhalten zu entgehen. Weiterhin sollte sich auch der beste Skifahrer nicht in gesperrte Hänge begeben, um dort z. B. im unberührten Pulverschnee "Skifahren pur" zu erleben. Allzu schnell findet man sich dann nämlich unter den Schnee wieder, statt darauf.
    Um bei einer Verschüttung möglichst schnell gefunden zu werden, gibt es kommerzielle Lawinen-Verschütteten-Suchmelder (LVS-Geräte). Diese Geräte senden einen Funksignalton aus, mit dessen Hilfe man relativ gut geortet werden kann. Diese rund 200 - 400 Euro teuren Geräte können auch gleichzeitig von den nicht Verschütteten als Ortungsgeräte verwendet werden. Weiterhin haben sich Lawinenschnüre bewährt. Diese viele Zehner Meter langen dünnen Leinen geraten irgendwo an die Oberfläche und lassen dann die verschütteten Personen leichter auffinden.

    So genannte Lawinen-Airbags, die am Körper getragen werden, können in 1-2 Sekunden mit Pressluft aufgeblasen werden. Sie sorgen dafür, dass sich die Person in der fließenden Lawine an der Oberfläche halten kann. In Mulden jedoch, oder wenn die Person sich nicht mehr mit der Lawine bewegt, ist deren Bedeutung nur noch sehr gering. Dann besteht dieselbe Gefahr, unter den Schneemassen begraben zu werden wie ohne die Airbags.
    Mit Hilfe von Handys lässt sich sogar als Verschütteter Hilfe holen, die oft per Helikopter sehr schnell am Unfallort ist. Die Überlebenschance für ganz Verschüttete beträgt nur ca. 50 %. Sofern Teile der Person (Arm, Bein) oder Kleidungsstücke aus dem Schnee hervorschauen, steigen die Überlebensraten auf ca. 87 % an.

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